Geschichte

 

Zur Geschichte der Philosophischen Gesellschaft in Bremen

 Etwa zweimal im Monat von Herbst bis Frühling treffen sich Mitglieder und Freunde der Philosophischen Gesellschaft Bremen, um einen Vortrag zu hören und anschließend über den Inhalt zu sprechen oder auch mal zu streiten; oder sie kommen zusammen, um reinen Gesprächsrunden zu folgen oder sich daran zu beteiligen. Da geht es dann beispielsweise um Fragen wie: „Widerlegt die Neurobiologie die Willensfreiheit?“ oder „Was hat Wirtschaft mit Moral zu tun?“, auch „Ethische Fragen der Reproduktionsmedizin“ werden angesprochen oder die Frage aufgeworfen: „Bringt Philosophie einen Mehrwert für Religion?“

Es war und ist das Selbstverständnis dieser Gesellschaft, „der interessierten Öffentlichkeit ein Forum zu bieten, in dem philosophische Debatten aus Vergangenheit und Gegenwart vorgestellt und diskutiert werden können“. So hat sie es programmatisch auf ihrer Internetseite formuliert. Dabei stehen, wie es weiter heißt, „neben spezielleren Themen und Diskussionen mit philosophisch informierten Vertreterinnen und Vertretern benachbarter Disziplinen der Natur- und Geisteswissenschaften immer wieder auch grundlegende philosophische Fragen im Mittelpunkt. Dazu gehören z.B. Fragen nach den gut begründeten Möglichkeiten der Orientierung in Gesellschaft und individuellem Leben sowie nach den verschiedenen Grundlagen unseres Menschenbildes“ (www.phgb.de).

 Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1949, wurde die Gesellschaft gegründet. Damals war die Universität Bremen noch in weiter Ferne. Aber das Bedürfnis nach Kultur und Bildung, nach gehaltvollen Vorträgen, Gesprächen und Diskussionen, nach Lebensorientierung und geistiger Anregung ließ eine vielfältige Landschaft der Wissensvermittlung entstehen: Natur- und geisteswissenschaftliche Organisationen, Technik- und Kunst-vermittelnde Vereine und andere Zusammenschlüsse entstanden neu, wurden wiederbelebt oder fortgeführt. In diesem Kontext entstand auch die Philosophische Gesellschaft Bremen. Bei ihr ging und geht ausschließlich darum, Veranstaltungen mit philosophischen oder Philosophie-nahen Themen zu organisieren und dazu interessante Referenten und Gäste einzuladen. D.h. sie vertritt nicht fachgebundene oder mitglieder- bzw. berufsbezogene Interessen und Intentionen gegenüber Dritten, sondern sie dient ausschließlich dem Zweck, interessierten Bürgerinnen und Bürgern philosophische Themen anzubieten.

 Treibende Kraft und erster Vorsitzender war damals Dr. Erwin Lebek (1892-1981), Philosophielehrer am Alten Gymnasium in Bremen und wenig später dort auch Direktor. Ihm wurde nachgesagt, philosophische Gedanken in eine klare, gut nachvollziehbare Sprache fassen zu können. Das dokumentiert er auch in seinem 1982 veröffentlichten Buch „Philosophieren – was ist das? Erste Hilfe für Anfänger“. Er hat diese Einführung kurz vor seinem Tod fertiggestellt. Sie ist das Zeugnis lebenslanger intensiver und ausgedehnter Beschäftigung mit der Philosophie. Einer seiner Schüler, Dietz Lange, schreibt 1984 in einer Rezension zu dem Buch: „Als Meister pädagogischer Vermittlung versteht es Lebek, auch schwierige Zusammenhänge einfach und lebendig darzustellen, ohne dabei an sachlicher Strenge etwas nachzulassen.“ Dabei gibt Lange auch noch Eindrücke aus seiner Zeit als Schüler Lebeks preis, dessen Philosophieunterricht „wohl mehr als vieles andere dazu angetan war, zu geistiger Disziplin und zur Freude an selbständigem Denken zu erziehen“. Das Buch sei „im Geiste des weltoffenen Humanismus geschrieben“ attestiert Lange in seinem Beitrag für die Theologische Rundschau (Nr 49).

 Seine Freude an der Philosophie wollte er offenbar nicht nur mit seinen Schülerinnen und Schülern, sondern auch mit Erwachsenen teilen. Er fand Gleichgesinnte, mit denen er die Gesellschaft gründete und regelmäßig Vortragsveranstaltungen mit Referenten aus Bremen und ganz Deutschland organisierte. Lebeks philosophische Kompetenz, aber sicher auch sein beeindruckender Umgang mit anderen dürfte dazu geführt haben, dass 1950, also bereits ein Jahr nach Gründung der Philosophischen Gesellschaft der Deutsche Philosophiekongress in Bremen ausgerichtet wurde. Im selben Jahr trat auch der Philosoph Martin Heidegger im Schütting, dem Haus der Handelskammer in Bremen, auf. Nicht allein vor der Philosophischen Gesellschaft, sondern auch vor der Wittheit, der die philosophische Vereinigung angehört. Heidegger unterlag damals wegen seiner Beziehung zum Nationalsozialismus noch einem Lehrverbot, das erst 1951 mit seiner Emeritierung aufgehoben wurde.

 Die Wittheit zu Bremen, gegründet 1924, bezweckt als akademische Institution die Zusammenfassung und Förderung der wissenschaftlichen Bestrebungen und Arbeiten im Gebiet der Freien Hansestadt Bremen. Sie versteht sich als Dachorganisation von über 90 wissenschaftlichen Einrichtungen und Instituten in Bremen und Bremerhaven. Mitglieder der Wittheit sind wissenschaftliche Vereinigungen und Institute sowie persönlich berufene Mitglieder. Der Dachorganisation sind angeschlossen 95 wissenschaftlich tätige Vereine, Institute, die Universität Bremen, Hochschulen und Museen sowie zurzeit 65 persönlich berufene Mitglieder. Ihr Sitz ist das Haus der Wissenschaft, in direkter Nachbarschaft zum Rathaus. Sie gibt jährlich zur Vortragssaison ab September eine Publikation heraus, in der ebenso wie im Internet über 250 Vorträge, Gesprächsrunden, Exkursionen und Ausstellungen angekündigt werden.

 Bei der Organisation des Philosophiekongresses 1950, der im Rathaus stattfand, konnte Lebek sich auch auf die Hilfe einiger Primaner seiner Schule stützen, zu denen neben dem eben zitierten Rezensenten Lange auch Dieter Steland gehörte, der später als Professor in Göttingen lehrte. Steland berichtet, dass es zu den Aufgaben der Schüler gehörte, „von sachkundiger Hand gefertigte Zusammenfassungen von Vorträgen und Diskussionen, die auf Matrize geschrieben waren, durch den Vervielfältigungsapparat zu nudeln und an die Vertreter der Presse zu verteilen“. Von denen wussten einige offenbar etwas mit den Texten anzufangen. Denn, wie der junge Steland beobachten konnte, machten sich „zwei Journalisten gleich des Abends im leeren Saal daran, eine Tafel Schokolade kauend, nach dieser Vorlage ihre Artikel zu verfassen“. Eine der Hauptaufgaben, die Lebek seinen Schülern bei dem Kongress aufgetragen hatte, war es “an der Tür des Tagungssaales zu stehen und darauf zu achten, dass sich keine Unbefugten eindrängten“.

 Steland und seine interessierten Mitschüler durften oft als Gasthörer dabei sein, wenn die Philosophische Gesellschaft ihre Veranstaltungen machte. Aber offenbar waren die dort angebotenen Themen nicht so ganz nach dem Geschmack der jungen Leute. Steland jedenfalls räumte ein, dass ihm nur ein Vortrag im Gedächtnis geblieben sei, bei dem es um eine Einführung in Heideggers Werk „Sein und Zeit“ ging. Dabei hat den Schüler besonders beeindruckt, dass der Vortragende nicht etwa Philosoph, sondern Architekt war. Das habe ihm „sehr imponiert“ und ihn zu der Überlegung veranlasst: „Man müsste einen Brotberuf haben, zu dem man die notwendige Begabung und Neigung mitbringt – vielleicht Architekt – und könnte sich an den Wochenenden mit Philosophie befassen.“ Er wurde dann Professor für romanische Philologie, inzwischen emeritiert, in Göttingen.

 Der Vortragende war übrigens der spätere Vorsitzende der Philosophischen Gesellschaft, Herbert Albrecht. Der Architekt mit dem Titel Dipl.-Ing. leitete in der Nachfolge von Erwin Lebek nicht nur die Gesellschaft und organisierte Einladungen und Vorträge. Er referierte auch immer wieder selbst im Rahmen des Veranstaltungsprogramms. 1969 erschien von ihm im Schünemann Verlag der Band „Deutsche Philosophie heute. Probleme, Texte, Denker“. Albrecht prägte eine programmatische Ausrichtung, die auch heute noch gilt: „Es muss nicht nur etwas Philosophisches sein“. Er, der sich in der Philosophie hervorragend auskannte, begab sich auch gerne auf das Feld der Kunst. Ähnlich bot auch sein langjähriger Nachfolger Bengt Beutler regelmäßige Veranstaltungen der Philosophischen Gesellschaft im Gerhard-Marcks-Haus an, wo er Gespräche mit Künstlern führte und die auch nach seiner Amtszeit fortsetzt.

 Herbert Albrecht starb 1985. Sein damaliger Stellvertreter, der Philosophieprofessor Hans Jörg Sandkühler würdigte ihn in einem Brief an die Mitglieder: „Seine Erfahrungen und sein Vermögen, Philosophie, Wissenschaften und Künste miteinander zu vermitteln, sind unersetzlich“. Seinem unermüdlichen Engagement sei es „zu verdanken, dass die Philosophie auch außerhalb der akademischen Institutionen ihren Ort in der Kultur unserer Stadt hatte“.

 Den Vorsitz der Philosophischen Gesellschaft übernahm dann für zwei Jahre Jürgen Mühlstädt, Fachleiter für Philosophie an dem Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis (WIS), in dem Lehrer ausgebildet wurden. In dieser Zeit fand auch eine Art Generationswechsel in der Organisation statt. Es waren in den Jahren zuvor eine Reihe von Mitgliedern gestorben oder hatten sich altersbedingt zurückgezogen. Albrecht hatte seinen Vorstandskollegen noch mit auf den Weg gegeben, mit „gesteigerter Aktivität“ um neue und vor allem jüngere Mitglieder zu werben. Das geschah auch mit Erfolg, wie noch heute diverse Beitrittserklärungen in den Unterlagen bezeugen. Vorsitzender Mühlstädt und sein Vertreter Gerhard Pasternack warben auch persönlich erfolgreich um den Beitritt von Prof. Dr. Bengt Beutler, der ihm im Amt des Vorsitzenden nachfolgte und dies 32 Jahre lang ausübte.

 Beutler, der als Schüler den Gründer Lebek noch als Rektor des Alten Gymnasiums erlebt hatte, trat 1987 den Vorsitz in der Philosophischen Gesellschaft an. Der Jurist,der zunächst auch Philosophie und Kunstgeschichte studiert hatte, verkörperte gleichermaßen die bürgerliche und die akademische Gesellschaft der Stadt. 1987 hatte er in der Philosophischen Rundschau einen Beitrag zu dem Thema „Über die Schwierigkeiten, seine Zeit in Gedanken zu fassen“ veröffentlicht. Beutler war viele Jahre als Richter in Bremen tätig und lehrte auch an den Universitäten Hamburg und Bremen. Er war auch Vorsitzender der Freunde der Universität Bremen und der Jacobs-Universität. Durch seine vielfältigen Kontakte in die bremische Stadtgesellschaft gelang es ihm, das Ansehen dieser Organisation zu wahren und zu stärken, so dass immer wieder auch namhafte Referenten nach Bremen kamen.

 1987 hielt Hans-Georg Gadamer im Sitzungssaal des Bremer Rathauses einen Vortrag zum Thema „Theoretische und praktische Vernunft. Differenz und gemeinsame Herkunft“. 1992 referierte der Soziologe und Gesellschaftstheoretiker, Professor Niklas Luhmann, im Kapitelsaal der Domgemeinde zu dem Thema: „Die moderne Gesellschaft und ihre Moral“. Allerdings hatte es eines Partners bedurft, um diesen hochkarätigen Wissenschaftler nach Bremen zu holen. Durch die Unterstützung der leitenden Redakteure Helmut Lamprecht und Alfred Paffenholz konnte der Vortrag gemeinsam mit dem Hörfunk von Radio Bremen angeboten werden. Er wurde vom Sender aufgezeichnet und später in der Reihe „Bremer Beiträge“ seines Kulturprogramms gesendet. 1995 gelang es, den späteren Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin für einen Vortrag in Bremen zu gewinnen. Er sprach in der Stadtwaage zu dem Thema: „Rationalität und Moralität“.

 Weitere namhafte Referenten dieser Zeit hier aufzuführen, würde zu weit führen. Um aber deutlich werden zu lassen, dass auch eine Reihe von Angeboten über den unmittelbaren philosophischen Bereich hinaus gingen und besonderes Interesse fanden, sei beispielhaft auf den Beitrag von Peter Konwitschny „Zum Tod der Oper“ im Bremer Theater hingewiesen und den von Robert Gernhard über Lichtenberg. Auch die Veranstaltungsreihe „Philosophie und Musik“ von Björn Haferkamp gehört in diese Reihe.

 Allerdings geschah es während Amtszeit Beutlers auch, dass ein Referent wieder ausgeladen werden musste. Professor Reinhard Merkel, ein auch heute noch zu Widerspruch reizender Jurist aus Hamburg, sollte zu dem damals umstrittenen Thema sprechen: „Rechtsphilosophische und strafrechtliche Probleme der Neugeborenen – Euthanasie“. Insbesondere Behindertenorganisationen riefen zum Widerstand gegen die Veranstaltung auf, so dass mit erheblichen Störungen gerechnet werden musste. Mehrere Gespräche im Vorfeld, in denen die Gesellschaft zu vermitteln versuchte, blieben erfolglos. Der Vorstand beschloss daher, die Veranstaltung nicht stattfinden zu lassen. Beutler schrieb damals mit seinen Vorstandskollegen an die Mitglieder und an die Medien: „Obwohl wir einhellig der Auffassung sind, dass der Vortrag keinen Angriff auf Behinderte darstellt, muss die Philosophische Gesellschaft aufgrund der vorangegangenen Aufrufe und Veröffentlichungen in der Presse davon ausgehen, dass sich ihr Ziel, eine vernünftige und sachbezogene Auseinandersetzung über schwierige und kontroverse Probleme zu ermöglichen, in der geplanten Veranstaltung nicht erreichen lässt“. Der Vortrag fand übrigens kurz darauf ungestört in der Universität im Rahmen einer Veranstaltung des Philosophischen Seminars statt.

 In der folgenden Mitgliederversammlung wurde dieser Vorfall durchaus kontrovers diskutiert. So wurde gegen die Position des Vorstandes laut Protokoll argumentiert, dass die Philosophische Gesellschaft „sich nicht dem Druck beliebiger Gruppen beugen dürfe“. Die unterschiedliche Bewertung führte jedoch nicht zu personellen Verwerfungen. Der Vorstand wurde mit einer Ausnahme wiedergewählt. Da der Kassenwart nicht wieder kandidierte, wurde Manfred Stöckler in dieses Amt gewählt, Professor für Theoretische Philosophie und Philosophie der Naturwissenschaften an der Universität Bremen. Er beteiligte sich in seinen verschiedenen Rollen innerhalb der Gesellschaft nicht nur an der Gewinnung von Referenten, sondern trug und trägt auch immer wieder mit eigenen Veranstaltungen zum Programm bei.

 Stöckler übernahm 2019 auch übergangsweise den Vorsitz der Gesellschaft, nachdem Bengt Beutler seine langjährige Leitung nicht weiter fortsetzen wollte. Ihm folgte 2020 Dr. Anne C. Thaeder, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Universität Bremen. Damit hat erstmals eine Frau die Leitung der Vereinigung übernommen. Allerdings waren auch in vielen Jahren zuvor Frauen im Vorstand tätig und haben wesentlich an der Programmarbeit und der Mitgliederbetreuung mitgewirkt. Besondere programmliche Akzente setzten beispielsweise die Philosophinnen Dagmar Borchers und Bärbel Frischmann von der Universität Bremen. Prof. Borchers organisierte zum 60-jährigen Jubiläum der Gesellschaft einen Vortragszyklus mit Bremer Kulturinstitutionen. Dr. Frischmann initiierte seinerzeit eine öffentliche Diskussionsrunde mit dem damaligen Wissenschaftssenator Willi Lemke, als der Fortbestand des Studienganges Philosophie an der Universität infrage gestellt wurde, und sie hielt ihrerseits einen viel beachteten Vortrag über den eingangs erwähnte Auftritt von Heidegger zu Bremen.

 Die Mitgliederzahl der Philosophischen Gesellschaft schwankt über die Jahre seit Gründung etwa zwischen 30 und 50. Es dürfte nicht überraschen, wenn man die überwiegende Mehrheit der Mitglieder dem Bildungsbürgertum zurechnet: Lehrkräfte, Juristen, Ärzte, Hochschulmitglieder, aber auch aus Wirtschaft, Verwaltung und anderen Teilen der Gesellschaft setzt sich die Mitgliedschaft ebenso wie der Teilnehmerkreis bei den Veranstaltungen zusammen. Bei Durchsicht der noch vorhanden Unterlagen und Protokolle kann man feststellen, dass etwa ab Mitte der 1970er Jahre die Zahl der Professoren in den wechselnden Vorständen und in der Mitgliedschaft sichtlich zunimmt. Das liegt natürlich daran, dass 1971 die Universität eröffnet wurde und seitdem dort auch Philosophen lehren. Aber auch Hochschullehrer und Wissenschaftler anderer Disziplinen fanden den Weg in die Gesellschaft. Ihre kollegialen Kontakte zur philosophischen Community in Deutschland und darüber hinaus erleichterten nicht nur die Gewinnung von interessanten Referenten, sondern machen diese nicht selten auch kostengünstiger, weil der eine oder andere aus Kollegialität oder in Erwartung eines Auftritts von Bremer Kolleginnen und Kollegen auf dem eigenen Terrain auf ein Vortragshonorar verzichtet.

 Die Besucherzahlen der Veranstaltungen sind ebenfalls sehr wechselhaft. Es können mal zehn sein, aber auch mal an die hundert. Das hängt vom Thema, den Referenten, dem Wetter ab und auch davon, was sonst so in der Stadt los ist.

 Wer auch immer die Gesellschaft führte, ein Problem zieht sich bis heute durch ihre Geschichte: das Geld. Meistens war es zu wenig, aber auch schon mal – nach Auffassung des Finanzamtes – zu viel. So schrieb das Amt dem Kassenführer einmal, dass es nicht angehen könne, 6000 D-Mark an Vermögen anzuhäufen. Das Problem war lösbar. Weniger leicht war es in den meisten anderen Jahren, die notwendigen Mittel aufzutreiben, um die Kosten für die Referenten, die ja nicht nur aus Bremen, sondern zum Teil sogar aus dem Ausland kamen, zu begleichen. Selbst wenn diese auf ein Honorar verzichteten, was durchaus nicht unüblich war und ist, so mussten und müssen doch Rechnungen für Fahrt und Unterkunft beglichen werden. Auch die Veranstaltungsräume waren und sind in der Regel nicht umsonst zu haben.

 Noch in den 1970er Jahren konnten jährlich Zuschüsse beim Senator für Bildung und Wissenschaft beantragt werden. Meistens gab es dann Beträge von 1000 oder 2000 D-Mark. Aber sicher konnte man nie sein. Es gab auch schon mal die Auskunft, der einschlägige Finanztopf sei bereits erschöpft. Andererseits musste immer penibel belegt werden, wofür das Geld ausgegeben wurde. Gelegentlich gab es mit dem Bewilligungsbescheid auch den Hinweis, dass man selbst etwas tun müsse, um Einnahmen zu verbessern, z.B. höhere Eintrittspreise bei den Veranstaltungen zu nehmen. Ab den 1980er Jahren war mit finanzieller Unterstützung aus dem öffentlichen Haushalt nicht mehr zu rechnen, abgesehen von seltenen Ausnahmen. Damals setzte die noch immer andauernde Haushaltsnotlage des Landes Bremen ein. Eine gewisse Erleichterung verschaffte wenig später die Sparkasse in Bremen, die ihre Räumlichkeiten in der Stadtwaage gegen Spendenquittung jahrelang zur Verfügung stellte.

 Mit den Einnahmen haperte es eigentlich ständig. Schuld daran waren vor allem auch die Mitglieder. Viele zahlten ihre Mitgliedsbeiträge nicht regelmäßig, manchmal auch mehrere Jahre nicht. Im Protokoll einer Mitgliederversammlung wird festgehalten, dass 20 von 50 Mitgliedern noch den Jahresbeitrag schuldig seien, damals 20 D-Mark, ermäßigt 10 D-Mark. So gingen vom Vorstand über die Jahrzehnte immer wieder Erinnerungsschreiben und Mahnbriefe heraus. Hin und wieder musste auch die Mitgliederliste um die standhaften Nichtzahler bereinigt werden. Das hat aber ihren Bestand nie gefährdet.

 Mehr als sieben Jahrzehnte hat sie ihre Zielsetzung ebenso kontinuierlich wie abwechslungsreich verfolgt. Krankheiten und unvorhergesehene Ereignis konnten auch mal einzelne Veranstaltung ausfallen lassen. Aber durch die Corona-Pandemie waren es im Frühjahr 2020 gleich mehrere. Andererseits hat diese weltumspannende Krankheit die Arbeit auch thematisch befruchtet. Die Planung der folgenden Veranstaltungsperiode lief unter dem Motto „Wie wollen wir leben?“. Die Frage nach dem guten Leben und nach dem Wohlergehen war in der Antike zentral, und sie ist es in der Philosophie der Gegenwart immer noch. Sie wurde aber im Jahr 2020 durch die von Covid-19 verursachte Pandemie und den Folgen neu aufgeworfen: Können wir so weiterleben wie bisher oder müssen wir uns neu orientieren? Und wenn ja: wie und in welcher Hinsicht?

 Wie auch in den Jahrzehnten zuvor bedeutet ein Motto für eine Veranstaltungsreihe nicht, dass ausschließlich dieses Thema behandelt wird. Auch ist ein Motto bzw. ein thematischer Schwerpunkt nicht zwingend. Es gab auch Phasen in der Vergangenheit, in denen man – aus unterschiedlichen Gründen – darauf verzichtet hat. In jüngster Zeit gab es wieder Schwerpunkte: z.B. „Philosophie und Ökonomie“ und „Philosophie und Religion“ sowie aktuell eben: „Wie wollen wir leben?“ Leitend bei der Programmplanung war und ist seit Beginn der Vorsatz, das philosophische Interesse über den engen fachphilosophischen Rahmen hinaus zu wecken.

 Die Aktivitäten zur Erreichung dieses Ziels sind von kurzfristigen Motiven und langfristigen Entwicklungen beeinflusst. Neben den immer wiederkehrenden Fragen wie „Sind die Vorträge finanzierbar?“ oder „Wird die Planung für die neue Saison rechtzeitig fertig, so dass sie noch im Programmheft der Wittheit abgedruckt werden kann?“ muss immer wieder neu diskutiert werden, in welchem Format die Philosophische Gesellschaft in die Öffentlichkeit tritt.

 Mit der Gründung der Universität und der Einrichtung eines eigenen Studiengangs für Philosophie gab es neue Möglichkeiten, philosophische Gedanken zu verbreiten. Fachkolloquien, interdisziplinäre Zentren und die Öffnung der Universität z.B. im Seniorenstudium, auch mit jeweils eigenen gut besuchten Veranstaltungen, übernahmen einen Teil der Funktionen einer bürgerlich getragenen Philosophischen Gesellschaft. Andererseits bewahren der niederschwellige Zugang zu den Vorträgen, die im Herzen der Stadt und nicht draußen in der Universität stattfinden, und die mehr am Interesse des Publikums als an akademischen Zielvorstellungen ausgerichteten Programme der Philosophischen Gesellschaft ein eigenes Wirkungsfeld.

 Neben den vielen Vorteilen, die die Universität der bürgerlichen Vereinigung bietet, gibt es auch Risiken. So kann es passieren, dass Studierende nach einem Vortrag ihre Seminardiskussion über die Köpfe des Stadtpublikums hinweg weiterführen. Ein Problem im Dialog mit der Öffentlichkeit kann auch ein spezifisches Fachverständnis der Universitätsphilosophie werden, das durch thematische Spezialisierung und interne Qualitätsansprüche geprägt ist und für das Publikum schwer nachvollziehbar ist. Dies kann auch nicht immer durch den guten Willen der jeweiligen Fachvertreterinnen und -vertreter abgemildert werden. Vermitteln können hier aktive Mitglieder der Gesellschaft, die sich in der Didaktik der Philosophie, in der Erwachsenenbildung oder im Journalismus auskennen und engagieren. Der vom Institut für Philosophie getragene, neu gegründete Masterstudiengang „Angewandte Philosophie“ thematisiert diese Schwierigkeiten. In einem eigenen Modul „Philosophie in der Öffentlichkeit“ sammeln die Studierenden Erfahrungen in einschlägigen Projektarbeiten, die auch die Philosophische Gesellschaft unterstützt.

 Seit der Gründung der Philosophischen Gesellschaft in Bremen hat sich vor allem auch die mediale Landschaft gründlich geändert. Es gibt mittlerweile breit angebotene philosophische Publikumszeitschriften, die z. B. auch in der Bahnhofsbuchhandlung ausliegen. Mit Hilfe des Internets kann man von Zuhause aus an Vorträge von national und international führenden Philosophinnen und Philosophen teilnehmen oder bei universitären Vorlesungsreihen zur Geschichte der Philosophie dabei sein. Der „große Vortrag“ hat so als Informationsquelle an Bedeutung verloren. Der Philosophischen Gesellschaft wachsen hier neue Aufgaben zu: Sie kann Orientierung und Überblick in einem weiter rasant anwachsenden Angebot geben. Und sie kann das interessierte Publikum aus der passiven Zuschauerrolle in einen aktiven Dialog führen. An vielen Orten in Deutschland wird erfolgreich der Weg beschritten, in Form eines philosophischen Cafés mit wenig „Input“ der Veranstalter die Besucher untereinander ins Gespräch zu bringen. Die Philosophische Gesellschaft in Bremen unterstützt aus der hiesigen Universität initiierte Aktivitäten dieser Art.

 Solche Gelegenheiten zum öffentlichen Gespräch sind gut und wichtig. Dabei kann aber zu kurz kommen, was die philosophische Fachdiskussion für den öffentlichen Dialog zu bieten hat, nämlich Erkenntnisse und Einsichten, die Fachleute als Lösungsvorschläge z.B. in der Medizin- oder Umweltethik entwickelt haben. Hier wiederholt sich ein institutionelles Problem: Die im Fach anerkannten Philosophinnen und Philosophen sind oft wenig am Dialog mit der Öffentlichkeit interessiert und daher schwer für solche Veranstaltungen zu gewinnen. Andererseits nehmen es die einschlägigen Feuilleton- und Fernsehphilosophen mit dem Stand der Fachdiskussion zuweilen nicht besonders genau.

 Es gibt keinen einfachen Weg zwischen Hörsaal und Marktplatz. Die Suche nach attraktiven Themen und Vortragenden, die sich verständlich ausdrücken können, muss weitergehen, ohne dass dabei das argumentative Niveau Schaden leidet. Es muss klar werden, dass die Einhaltung gewisser Standards der Argumentation notwendig ist und dass nicht Bauchgefühle, sondern begründetet Meinungen zählen. Aber gleichzeitig muss auch die Öffentlichkeit aushalten, was die Universitätsphilosophie charakterisiert, dass es nämlich eine Vielzahl von Menschenbildern und Theorietraditionen gibt, die nicht zu einem einheitlichen Weltbild oder zu universell anwendbaren Handlungsanweisungen führen. Am besten geht das, wenn die Philosophische Gesellschaft diese Spannungen immer wieder neu reflektiert und diese Vielfalt unter ihren aktiven Mitgliedern repräsentiert wird.